Radiomania

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Blaupunkt-Plakat von 1936

Auch wenn das, was am 29. Oktober des Jahres 1923 in den Äther ausgestrahlt wurde und allenfalls von einer Handvoll Auserwählter zu empfangen war, nach heutigen Kriterien irgendwo zwischen Störgeräusch und außerirdischer Kontaktaufnahme einzuordnen wäre, gilt dieses Datum als Startpunkt für die deutsche Rundfunk-Ära. In Berlin brach das Radiofieber aus – nicht nur bei den Hörern sondern auch bei Fabrikanten und Geschäftsleuten, die mit dem Radio Geld verdienen wollten. Es entstand eine mächtige und hoch-technisierte deutsche Radioindustrie, die den Weltmarkt fest im Griff hatte und deren Radios Maßstäbe setzten. 

Postkarte von 1924 

Mehr oder weniger über Nacht entstanden in Deutschland Hunderte von Betrieben, die sich dem Bau von Radios verschrieben hatten, ob als kleiner Einmannbetrieb oder als Großunternehmen mit Tausenden von Angestellten. Es herrschte eine regelrechte Goldgräberstimmung. Fast alle Unternehmen der ersten Stunde waren so schnell wie sie entstanden vom Markt auch wieder verschwunden. Einige wenige der Firmen, die die Anfangszeit erfolgreich überstanden haben, kennen wir noch heute, auch wenn sie längst keine Radios mehr bauen (allenfalls ihr Logo zur Verfügung stellen): Saba, Telefunken etc.. 

Seibt EA 437 von 1927 

 

Telefunken-Werbebild von 1949 

Fast monopolistisch beherrschte das Unternehmen Telefunken den deutschen Radiomarkt der 20er und 30er Jahre als Inhaber(in) zahlreicher Patente, ohne deren Benutzung kein Radio gebaut werden konnte. Keine Röhre konnte in ein Gerät eingesetzt werden, bevor nicht die Lizenzgebühr an Telefunken bezahlt wurde. Mit Erlässen, Abmahnungen oder drakonischen Strafen wurde jede Zuwiderhandlung geahndet. Global gesehen hatte diese monopolistische Einschränkung dem Werdegang des deutschen Radios nur wenig bis gar nicht geschadet. Deutsche Radios galten als zuverlässig, gut verarbeitet, einfallsreich im Design und waren technisch auf dem neuesten Stand. Selbst heute noch greift der puristische Radiofreak auf die deutschen Hochleistungsröhren der 30er Jahre zurück, um seinen finalen Verstärker zu bestücken. Auf der Suche nach dem reinen Klang kann kein noch so hochentwickelter Transistor einer Röhre paroli bieten – so zumindest die Meinung der Puristen.

Während der 30er und 40er Jahre erkannten die Nationalsozialisten im Radio ein geeignetes Instrument, um der Weltbevölkerung ihr arisches Denken zu verkünden, Hetztiraden vom Zaun zu brechen oder immer wieder Durchhalteparolen an die Front zu senden. Fast jeder Haushalt verfolgte mit seinem Volksempfänger gespannt diese Meldungen. Radiohören war im Gegensatz zu heute ein gesellschaftliches Ereignis, an dem die gesamte Familie teilnahm. Wer dabei absichtlich oder aus Versehen einen ausländischen Sender hörte, konnte – falls er erwischt wurde – mit Zuchthaus schwer bestraft werden. 

Telefunken-Spitzensuper T5000 von 1950 

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges lag auch die deutsche Radioindustrie in Trümmern. Erfindergeist und Gründertum waren wie in den Anfangszeiten wieder gefragt. Aus Bananenkisten, Konservendosen und ähnlichen Materialien bastelten findige Tüfftler einfache Radioempfänger, die ihnen die jazzigen Rythmen der Amerikaner ins Haus brachten. „In the mood“ war auch Max Grundig, der die Chance der Zeit erkannte und innerhalb weniger Jahre eines der gewaltigsten deutschen Firmenimperien aufbaute und das nicht „auf Sand“ sondern auf „Radios“. Allgemein gelang es den deutschen Unternehmen innerhalb eines Jahrzehntes, ihre Führungsrolle in puncto Radio wieder einzunehmen. Neue technische Errungenschaften, die sich hinter Begriffen wie UKW, HiFi, oder Stereo verbergen, kurbelten die deutsche Radioindustrie in den 50er und 60er Jahren an und sie standen auch für eine neue Art des Hörens. Um „en vogue“ zu sein, mußte schon ein „Schneewitchensarg“ her; eher für das heimelige Wohnzimmer standen die Radios der rund 25 Firmen, die fast alle dieselben Gehäuseformen bauten – die sogenannten „Gebißradios“. 

Grundig-Werbeprospekt von 1956 

Daß nach steilem Aufschwung auch ein tiefer Fall folgen kann, mußte gerade die deutsche Radioindustrie aufs schmerzlichste erfahren. Mit dem Aufkommen der Halbleitertechnik entbrannte ein Kampf auf dem Weltmarkt, den die deutschen Unternehmen als Verlierer verließen. In Fernost wird nun die Musik gespielt – zumindest was das Radio anbelangt. Bleibt als einziger Trost noch manch' Firmensignet aus alten Zeiten, das auch heute noch ein Neugerät ziert und an den Ruhm einstiger Tage erinnern mag. Außer diesem Schriftzug ist an diesem Radiogerät aber gar nichts mehr deutsch. Wer in unseren Tagen noch ein Gerät der einstigen deutschen Radioindustrie sein eigen nennen will, muß auf Floh- und Trödelmärkten, Haushaltsauflösungen oder gar Auktionen nach ihnen Ausschau halten. Zum gesuchten Sammelobjekt sind sie geworden, und je älter und ausgefallener sie sind, um so teurer ist auch der Preis.

 

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