MARC CHAGALL (Ljosna 1887–1985 Saint-Paul-de-Vence) La veste rouge. 1961. Öl, Gouache und Tusche auf Papier. Unten rechts signiert: Marc Chagall 66 × 50,5 cm. Provenienz: Sammlung V. Loeb, Muri bei Bern, wohl direkt beim Künstler erworben und durch Erbschaft an die heutigen Besitzer. Ausstellung: Berlin 1972/73, Marc Chagall Gouachen und Lavis 1947 bis heute, Nationalgalerie Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, 17. November 1972–22. Januar 1973, S. 34, Nr. 67 (mit Farbabb. S. 20). Literatur: Franz Meyer, Marc Chagall Leben und Werk, Köln, S. 151, Nr. 1007 (mit Abb.). "Ein junger russischer Maler, ein ungemein phantasiereicher Kolorist, der die launige Bildwelt der slawischen Volkskunst, auf die er manchmal zurückgreift, immer transzendiert. Er ist ein Künstler von enormer Vielseitigkeit, der allen Theorien trotzt." (Apollinaire über Chagall, zit. aus: Jacob Baal-Teshuva, Marc Chagall 1998, S. 72). Den Grossteil seiner späteren Werke begreift Marc Chagall als eine Rückkehr zu seinen Anfängen – den Funken der ersten Liebe, die Rückgewinnung einer kindlichen Erregung, mit der er die einfachsten Vergnügungen des Lebens begrüsst, während er gleichzeitig der vorübergehenden Traurigkeit der Vergänglichkeit und des Verlusts Beachtung schenkt. "La veste rouge" ist ein fantastisches Beispiel für Marc Chagalls Spätwerk und enthält viele der beliebtesten Motive und Themen des Künstlers. Vorne stellt Chagall ein Mischwesen dar, einen menschlichen Körper mit einem Ziegenhaupt. Diese Hybride, halb Mensch, halb Tierfiguren, die bei Chagall so oft auftauchen, entspringen einer alten Tradition und werden bereits in alten jüdischen Gebetsbüchern und Manuskripten aus dem 13. und 14. Jahrhundert, in denen die Figuren aus der Heiligen Schrift als Figuren mit Tierköpfen dargestellt sind, erwähnt. Chagalls chassidische Erziehung hinterlässt einen starken Einfluss auf sein gesamtes Werk und es liegt nahe, dass Chagall diese jüdischen Texte kannte und diese als Quellen für seine Motive verwendete. Allgemein spielen Tiere in Chagalls Œuvre eine zentrale Rolle. Sie gelten selten als Allegorien, sondern sind vielmehr Protagonisten, die als Menschen handeln. Allem voran die Ziege, die sich in vielen Gemälden des Künstlers in eine menschliche Rolle versetzt. Bereits in seinen frühen Selbstporträts stellt Chagall seinen Kopf oft auf eigentümliche Weise dar. Zuerst vom Hals losgelöst und um 180° gedreht, manchmal durch zwei menschliche Gesichter in einem oder dann zusammen mit einem Tierhaupt. Von letzterem hat Chagall um 1960 einige Lithografien gefertigt. Diese zeigen einen menschlichen Körper und als Kopf die Hälfte Mensch und die zweite Hälfte Tier. Es liegt also nahe, dass Chagall bei "La veste rouge" noch einen Schritt weitergeht und seinen eigenen Kopf ganz durch einen Ziegenhaupt ersetzt. Es ist anzunehmen, dass es sich auch bei dem vorliegenden Werk um ein Selbstporträt handelt. Ausserdem stellt sich Chagall in den 1980er Jahren, kurz vor seinem Tod, nochmals selbst dar, und zwar mit derselben roten Weste, die auch der Protagonist in dem unsrigen Werk trägt. Um die Selbstdarstellung herum, bettet sich der Künstler in Mitten seiner eigenen Geschichte. Im Hintergrund angedeutet sind die Dächer seiner Heimatstadt Witebsk. Die Stadt mit ihren charakteristischen Gebäuden und dem ländlichen Charakter bleiben auch noch nach der Abreise nach Paris 1922 eine grundlegende Inspirationsquelle, die er als: "den Boden, der die Wurzeln meiner Kunst nährte" bezeichnet (M. Chagall, zitiert aus: J. Baal-Teshuva Marc Chagall 1887-1985, New York 1998, S. 19). Sie sind Erinnerung an seine Eltern und Geschwister, an seine jüdische Herkunft und die vielen Traditionen, aber auch an die Schwierigkeiten seiner Kindheit im Hinblick auf die finanzielle Notlage seiner Familie und den Antisemitismus, dem sie sich aussetzten mussten. Die grosse Pendule, die Chagall sich zur Seite stellt, taucht in vielen bedeutenden Bildern des Künstlers auf. 1914 widmet er d
MARC CHAGALL (Ljosna 1887–1985 Saint-Paul-de-Vence) La veste rouge. 1961. Öl, Gouache und Tusche auf Papier. Unten rechts signiert: Marc Chagall 66 × 50,5 cm. Provenienz: Sammlung V. Loeb, Muri bei Bern, wohl direkt beim Künstler erworben und durch Erbschaft an die heutigen Besitzer. Ausstellung: Berlin 1972/73, Marc Chagall Gouachen und Lavis 1947 bis heute, Nationalgalerie Berlin, Staatliche Museen Preussischer Kulturbesitz, 17. November 1972–22. Januar 1973, S. 34, Nr. 67 (mit Farbabb. S. 20). Literatur: Franz Meyer, Marc Chagall Leben und Werk, Köln, S. 151, Nr. 1007 (mit Abb.). "Ein junger russischer Maler, ein ungemein phantasiereicher Kolorist, der die launige Bildwelt der slawischen Volkskunst, auf die er manchmal zurückgreift, immer transzendiert. Er ist ein Künstler von enormer Vielseitigkeit, der allen Theorien trotzt." (Apollinaire über Chagall, zit. aus: Jacob Baal-Teshuva, Marc Chagall 1998, S. 72). Den Grossteil seiner späteren Werke begreift Marc Chagall als eine Rückkehr zu seinen Anfängen – den Funken der ersten Liebe, die Rückgewinnung einer kindlichen Erregung, mit der er die einfachsten Vergnügungen des Lebens begrüsst, während er gleichzeitig der vorübergehenden Traurigkeit der Vergänglichkeit und des Verlusts Beachtung schenkt. "La veste rouge" ist ein fantastisches Beispiel für Marc Chagalls Spätwerk und enthält viele der beliebtesten Motive und Themen des Künstlers. Vorne stellt Chagall ein Mischwesen dar, einen menschlichen Körper mit einem Ziegenhaupt. Diese Hybride, halb Mensch, halb Tierfiguren, die bei Chagall so oft auftauchen, entspringen einer alten Tradition und werden bereits in alten jüdischen Gebetsbüchern und Manuskripten aus dem 13. und 14. Jahrhundert, in denen die Figuren aus der Heiligen Schrift als Figuren mit Tierköpfen dargestellt sind, erwähnt. Chagalls chassidische Erziehung hinterlässt einen starken Einfluss auf sein gesamtes Werk und es liegt nahe, dass Chagall diese jüdischen Texte kannte und diese als Quellen für seine Motive verwendete. Allgemein spielen Tiere in Chagalls Œuvre eine zentrale Rolle. Sie gelten selten als Allegorien, sondern sind vielmehr Protagonisten, die als Menschen handeln. Allem voran die Ziege, die sich in vielen Gemälden des Künstlers in eine menschliche Rolle versetzt. Bereits in seinen frühen Selbstporträts stellt Chagall seinen Kopf oft auf eigentümliche Weise dar. Zuerst vom Hals losgelöst und um 180° gedreht, manchmal durch zwei menschliche Gesichter in einem oder dann zusammen mit einem Tierhaupt. Von letzterem hat Chagall um 1960 einige Lithografien gefertigt. Diese zeigen einen menschlichen Körper und als Kopf die Hälfte Mensch und die zweite Hälfte Tier. Es liegt also nahe, dass Chagall bei "La veste rouge" noch einen Schritt weitergeht und seinen eigenen Kopf ganz durch einen Ziegenhaupt ersetzt. Es ist anzunehmen, dass es sich auch bei dem vorliegenden Werk um ein Selbstporträt handelt. Ausserdem stellt sich Chagall in den 1980er Jahren, kurz vor seinem Tod, nochmals selbst dar, und zwar mit derselben roten Weste, die auch der Protagonist in dem unsrigen Werk trägt. Um die Selbstdarstellung herum, bettet sich der Künstler in Mitten seiner eigenen Geschichte. Im Hintergrund angedeutet sind die Dächer seiner Heimatstadt Witebsk. Die Stadt mit ihren charakteristischen Gebäuden und dem ländlichen Charakter bleiben auch noch nach der Abreise nach Paris 1922 eine grundlegende Inspirationsquelle, die er als: "den Boden, der die Wurzeln meiner Kunst nährte" bezeichnet (M. Chagall, zitiert aus: J. Baal-Teshuva Marc Chagall 1887-1985, New York 1998, S. 19). Sie sind Erinnerung an seine Eltern und Geschwister, an seine jüdische Herkunft und die vielen Traditionen, aber auch an die Schwierigkeiten seiner Kindheit im Hinblick auf die finanzielle Notlage seiner Familie und den Antisemitismus, dem sie sich aussetzten mussten. Die grosse Pendule, die Chagall sich zur Seite stellt, taucht in vielen bedeutenden Bildern des Künstlers auf. 1914 widmet er d
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