Mann, Golo, Sohn Thomas Manns, Historiker und Publizist (1909-1994). Brief m. U. "Golo Mann". 1 1 / 2 S. auf 2 Bl. Gr. 4to. Kilchberg am Zürichsee 30.X.1974. An Erich Gottgetreu (1903-1981) in Jerusalem, mit Auskünften zu Mitgliedern der Familie Pringsheim. "... Mein Grossvater Pringsheim hat sich in der Tat niemals 'taufen' lassen. Er war zu stolz dazu, als der bayerische Kultusminister ihm die Taufe nahelegte: in dem Fall würde er doch viel schneller 'Ordinarius' werden. Nun er wurde es trotzdem, weil er etwas konnte und weil das Königreich Bayern vor 1914 durchaus ein Rechtsstaat war, er wurde es nur einige Jahre später. - Was nun den 'Onkel Erik' betrifft ... Er war, nach allem, was ich höre, ein ziemlicher Tunichtgut; wie die Söhne oder Enkel reicher deutscher 'Juden' damals manchmal waren: eleganter Offizier im Königlichen Leibregiment; äusserst konservativ in seinen politischen oder sozialen Ansichten, und ein arger Verschwender. Pferde, Frauen usw. usw. Als seine fürchterlichen Schulden an den Tag kamen, bezahlte mein Grossvater sie zwar, verbannte aber den missratenen Sohn nach Argentinien ... Dort wurde ihm eine Farm gekauft. Es fand sich eine englische Dame, die er heiratete, und ein Verwalter der Farm, den die englische Dame bald dem deutschen Besitzer vorzog. Erik verstarb dann sehr plötzlich an rätselhafter Krankheit. Der argentinische Besitz war testamentarisch der englischen Dame vermacht. Sie reiste nach München und wurde auf dem Schiff 'die lustige Witwe' genannt. Meine Grossmutter hat ihr dann gerade ins Gesicht gesagt, sie habe ihren Gatten vergiftet; worauf die lustige Witwe Deutschland mit dem nächsten Schiff verliess ... Im 'Wendepunkt' , den Erinnerungen meines Bruders Klaus, steht diese Geschichte ja ziemlich ausführlich. Und, zu unserem Erstaunen, lebte damals die Mörderin noch und drohte mit einem Prozess. Aber aus dem ist nie etwas geworden ...". - Ferner über Heinz Pringsheim und seine Frauen, deren zweite ihm half, das "Dritte Reich" zu überleben: "... Tatsächlich gelang es ihm, nachzuweisen, dass er nur 'Halb' oder 'Dreiviertel' sei - entschuldigen Sie diese barbarischen Ausdrücke. Es kam dies daher, dass der Vater seiner Mutter schon protestantischer Pfarrer gewesen war in seiner Jugend und schon dessen Vater 'getauft'. Ich hasse es, solche Ausdrücke zu verwenden ...".
Mann, Golo, Sohn Thomas Manns, Historiker und Publizist (1909-1994). Brief m. U. "Golo Mann". 1 1 / 2 S. auf 2 Bl. Gr. 4to. Kilchberg am Zürichsee 30.X.1974. An Erich Gottgetreu (1903-1981) in Jerusalem, mit Auskünften zu Mitgliedern der Familie Pringsheim. "... Mein Grossvater Pringsheim hat sich in der Tat niemals 'taufen' lassen. Er war zu stolz dazu, als der bayerische Kultusminister ihm die Taufe nahelegte: in dem Fall würde er doch viel schneller 'Ordinarius' werden. Nun er wurde es trotzdem, weil er etwas konnte und weil das Königreich Bayern vor 1914 durchaus ein Rechtsstaat war, er wurde es nur einige Jahre später. - Was nun den 'Onkel Erik' betrifft ... Er war, nach allem, was ich höre, ein ziemlicher Tunichtgut; wie die Söhne oder Enkel reicher deutscher 'Juden' damals manchmal waren: eleganter Offizier im Königlichen Leibregiment; äusserst konservativ in seinen politischen oder sozialen Ansichten, und ein arger Verschwender. Pferde, Frauen usw. usw. Als seine fürchterlichen Schulden an den Tag kamen, bezahlte mein Grossvater sie zwar, verbannte aber den missratenen Sohn nach Argentinien ... Dort wurde ihm eine Farm gekauft. Es fand sich eine englische Dame, die er heiratete, und ein Verwalter der Farm, den die englische Dame bald dem deutschen Besitzer vorzog. Erik verstarb dann sehr plötzlich an rätselhafter Krankheit. Der argentinische Besitz war testamentarisch der englischen Dame vermacht. Sie reiste nach München und wurde auf dem Schiff 'die lustige Witwe' genannt. Meine Grossmutter hat ihr dann gerade ins Gesicht gesagt, sie habe ihren Gatten vergiftet; worauf die lustige Witwe Deutschland mit dem nächsten Schiff verliess ... Im 'Wendepunkt' , den Erinnerungen meines Bruders Klaus, steht diese Geschichte ja ziemlich ausführlich. Und, zu unserem Erstaunen, lebte damals die Mörderin noch und drohte mit einem Prozess. Aber aus dem ist nie etwas geworden ...". - Ferner über Heinz Pringsheim und seine Frauen, deren zweite ihm half, das "Dritte Reich" zu überleben: "... Tatsächlich gelang es ihm, nachzuweisen, dass er nur 'Halb' oder 'Dreiviertel' sei - entschuldigen Sie diese barbarischen Ausdrücke. Es kam dies daher, dass der Vater seiner Mutter schon protestantischer Pfarrer gewesen war in seiner Jugend und schon dessen Vater 'getauft'. Ich hasse es, solche Ausdrücke zu verwenden ...".
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