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Auction archive: Lot number 15

Hermann Max Pechstein - Selbstbildnis, liegend

Estimate
€1,500,000 - €2,000,000
ca. US$1,646,081 - US$2,194,775
Price realised:
n. a.
Auction archive: Lot number 15

Hermann Max Pechstein - Selbstbildnis, liegend

Estimate
€1,500,000 - €2,000,000
ca. US$1,646,081 - US$2,194,775
Price realised:
n. a.
Beschreibung:

Hermann Max Pechstein
Selbstbildnis, liegend
1909
Öl auf Leinwand. 73,5 x 98,5 cm. Gerahmt. Oben links braun monogrammiert 'HMP' (ligiert). - In guter, farbfrischer Erhaltung. Partiell schwaches Craquelé.Diese Arbeit wird auf der Grundlage einer Einigung zwischen dem Einlieferer und den Erben nach Dr. Walter Blank angeboten, die aufgrund der Vermittlung durch die Kunsthaus Lempertz KG zustande gekommen ist. Die Einigung hat zur gütlichen Beilegung aller offenen Fragen in Bezug auf die Provenienz und eigentumsrechtlichen Fragen an dem Werk geführt, so dass der Erwerber unbeschränktes Eigentum, frei von Ansprüchen aller Art, erwirbt.
Mit dem "Selbstbildnis, liegend" wird das bedeutendste Selbstbildnis von Hermann Max Pechstein angeboten. Es stammt aus einer Zeit, die gemeinhin als seine beste Schaffensphase gilt - ein Höhepunkt des deutschen Expressionismus.
Das Gemälde ist angefragt als Leihgabe für die Ausstellung „Max Pechstein – Die Sonne in Schwarzweiß“ im Museum Wiesbaden, 15. März – 30. Juni 2024, in Kooperation mit den Kunstsammlungen Zwickau – Max Pechstein-Museum, dem Brücke Museum Berlin sowie der Max Pechstein Urheberrechtsgemeinschaft, Hamburg/Berlin.
Das mit leuchtenden Farben energisch gemalte „Selbstbildnis, liegend“ von 1909 ist das früheste malerische Selbstporträt von Max Pechstein. Lediglich in zwei kleinen Holzschnitten privaten Charakters hatte sich der Künstler bis dahin selbst dargestellt. Hier hingegen präsentiert er sich selbstbewusst in ganzer Figur und das gesamte Bildformat füllend, in einer gänzlich unkonventionellen Weise. Auf einem grünen Untergrund liegend, stützt er sich auf einem Ellbogen auf, während der andere ausgestreckte Arm den Pinsel hält, um auf der gerade noch ins Bild ragenden Leinwand zu malen.
Das außergewöhnliche Selbstbildnis von musealer Qualität besticht durch die Wahl der komplementären Farbkontraste Rot-Grün und Blau-Gelb, mit denen Pechstein maximale Leuchtkraft und Präsenz erreicht. Mit den starken Farben geht der direkte, geradezu herausfordernde Blick des Malers einher. Pechstein, der sich 1909 auf der Schwelle zum künstlerischen Durchbruch befand, blickt selbstgewiss in die eigene Zukunft.
Der Durchbruch
Für den Künstler war das Jahr 1909 eine von richtungsweisenden Veränderungen geprägte Zeit. Er war zum Entstehungszeitpunkt 28 Jahre alt, seit Mitte 1908 in Berlin ansässig und zunächst noch weitgehend mittellos. Die Frühjahrs-Ausstellung der Berliner Secession wurde daher zu einem Meilenstein in seiner noch jungen Karriere, er war hier mit drei Gemälden vertreten und konnte zwei davon verkaufen. „Das Eis war gebrochen, und meine Kunst, später von Kunstwissenschaftlern als ‚Expressionismus‘ bezeichnet, hatte sich den Anfang des Weges errungen“, schrieb er rückblickend (zit. nach Aya Soika, Max Pechstein. Das Werkverzeichnis der Ölgemälde, Bd. 1, München 2011, S. 13).
Erster Nidden-Aufenthalt
Der Verkaufserlös ermöglichte Pechstein erstmals einen Sommeraufenthalt an der Ostsee im Fischerdorf Nidden an der Kurischen Nehrung, wo er von Ende Juni bis Anfang September fern der Großstadt in der freien Natur arbeitete. Es war der erste von vielen weiteren Sommern in diesem „Malerparadies“, wie Pechstein es nannte. Er war fasziniert von der maritimen Landschaft und dem einfachen Leben der Einheimischen, mit denen er enge Kontakte pflegte.
Das „Selbstbildnis, liegend“ entstand sehr wahrscheinlich im Spätsommer, direkt im Anschluss an diesen künstlerisch äußerst wichtigen Aufenthalt, und ist motivisch noch ganz von den dort gesammelten Eindrücken durchdrungen. Davon zeugen die sonnengebräunten Gesichtszüge des Malers ebenso wie seine von den Niddener Fischern abgeschaute Kleidung mit einfachem Seemannshemd, Gamaschen und bloßen Füßen. Auch der markante Backenbart, den der Maler nur kurzzeitig trug, ist diesem Hintergrund geschuldet, er findet sich auch in seiner Lithographie „Zwei Köpfe“ aus dem gleichen Zeitraum (Krüger L 57, siehe Vgl.-Abb.).
Stilistische Neuanfänge
Der Sommer in Nidden markierte auch stilistisch eine Wegmarke für Pechstein. Nachdem er noch zu Beginn des Jahres 1909 sowohl mit pointillistischen Maltechniken als auch mit pastosem Farbauftrag im Stil Vincent van Goghs experimentiert hatte, begann er nun erstmals mit großen Flächen in einheitlicher, leuchtender Farbgebung zu arbeiten. Das „Selbstbildnis, liegend“ ist eines der frühesten Beispiele dafür. Diese künstlerische Errungenschaft steht möglicherweise noch in Zusammenhang mit der Matisse-Ausstellung, die die Galerie Paul Cassirer in Berlin ausrichtete und die Pechstein gemeinsam mit Kirchner und Schmidt-Rottluff im Januar 1909 besuchte. Die dort ausgestellten Akte und Bilder von Tanzenden hinterließen bei Pechstein – noch mehr als bei den anderen „Brücke“-Künstlern – einen nachhaltigen Eindruck.
Die Selbstdarstellung
Im Frühjahr 1909 gestaltete Pechstein das offizielle Plakat der „Brücke“-Ausstellung bei Emil Richter in Dresden. Darauf stellte er die Konterfeis der vier „Brücke“-Mitglieder dar, unten links sich selbst (Krüger H 85, siehe Vgl.-Abb.). Möglicherweise weckte dieses erste für die Öffentlichkeit konzipierte Gruppenbildnis bei dem Maler das Bedürfnis nach einer bewussten, individuellen Darstellung seiner Person. Das Ergebnis dieser Intention steht uns hier eindrucksvoll vor Augen.
Mit vergleichbarem Selbstbewusstsein präsentierte sich der Maler einige Monate nach dem Entstehen des „Selbstbildnis, liegend“ in dem „Doppelbildnis“ (Soika 1910/67, Nationalgalerie Berlin, siehe Vgl.-Abb.), das ihn gemeinsam mit „Lotte“ zeigt, seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Charlotte Kaprolat. Pechstein wurde im Mai 1910 zum Präsidenten der „Neuen Secession“ gewählt und fungierte als wortmächtiges Sprachrohr der progressiven „Brücke“-Künstler. In beiden Selbstbildnissen machte Pechstein unmissverständlich klar, dass er sich als Künstler und als Wortführer der „Brücke“ in einer Vorreiterrolle sah.
Wie Kunst entsteht – das Selbstbildnis als Programmbild
„Selbstbildnis, liegend“ ist nicht nur als individuelle Selbstdarstellung des Künstlers zu sehen, sondern besitzt eine außerordentlich durchdachte, vielschichtige Bildaussage.
Roman Zieglgänsberger macht in seinen Ausführungen zu diesem Gemälde deutlich, dass es dem Künstler keinesfalls nur darum ging, sich selbst in seiner Funktion als Maler zu porträtieren. „Es zeigt vielmehr, wie Kunst entsteht. Nimmt man es ganz genau, zeigt es sogar, wo Kunst entsteht. […] Für die thematische Aussage des Gemäldes ist […] entscheidend, dass sich ganz links am Rand die Palette befindet und ihr gegenüber am entferntesten Punkt im Bild rechts die angeschnittene Leinwand. Auf dieser entsteht soeben sein ‚Selbstbildnis, liegend‘, das wir letztlich vor Augen haben. Raffiniert ist zudem, dass sich das Gemälde exakt aus den Farben zusammensetzt, die sich – nur folgerichtig – auf seiner Palette befinden. Das bedeutet, Pechstein führt uns, indem er die Farben von der Palette links auf die Leinwand rechts überträgt, einen ‚kunstvollen‘ Spagat vor Augen. Die Primärfarben Rot-Gelb-Blau sowie die Mischfarbe Grün auf seiner Palette müssen vom Künstler, der nur im Selbstbildnis sichtbar im Zentrum steht beziehungsweise in unserem Fall ‚liegt‘, zur Kunst auf der Leinwand ‚übersetzt‘ werden. Liest man das Bild in der abendländischen Leserichtung von links nach rechts, sehen wir durch Pechstein, wie Kunst entsteht, nämlich folgendermaßen: Mit den Farben wird das Motiv vom Künstler, der hier nicht nur der Ausführende, sondern gleichzeitig der Bildgegenstand ist, unter höchsten Anstrengungen präzise erfasst und auf der Leinwand umgesetzt.
Hat man sich den komplexen Aufbau des ‚Selbstbildnis, liegend‘ erst vor Augen geführt, wird klar, dass Pechstein diesen ‚Kunstwerdungsprozess‘, den er hier exemplarisch an seiner eigenen Person wie in einer Versuchsanordnung durch- und vorgeführt hat, nicht nur als Maxime für dieses eine Selbstporträt verstand, sondern zukünftig für sein gesamtes Schaffen ansah. Für Pechstein war demnach der Körper des Malers das Medium, der Resonanzraum durch das das äußerlich Wahrgenommene erst hindurchgehen muss, um zur Kunst zu werden. Damit sagt er, dass die Welt mit allen Sinnen wahrgenommen werden muss, um vermischt mit der individuellen Persönlichkeit des Künstlers am Ende zu emotionaler Kunst werden zu können. Kunst ist nicht nur Kopf, Kunst ist nicht nur Malaktion, Kunst ist schlicht ‚gesamtkörperlich‘. Mehr Programmbild kann ein Werk nicht sein.“ (aus: Roman Zieglgänsberger, Wie Kunst entsteht. Eine kurze Anmerkung zu Max Pechsteins Programmbild „Selbstbildnis, liegend“; vollständiger Text unter www.lempertz.com/de/academy.html).
„Selbstbildnis, liegend“ ist in seiner unkonventionellen Bildfindung singulär. Herausragend veranschaulicht es die Selbstgewissheit und die schöpferische Kraft des Malers zum Zeitpunkt seines künstlerischen Durchbruchs. Wie kein anderes Gemälde aus diesem Jahr präsentiert es erstmals Pechsteins voll ausgereiften, unverwechselbaren „Brücke“-Stil und steht programmatisch für sein künstlerisches Verständnis.
Der Sammler Dr. med. Walter Blank
Dr. Walter Blank (1892-1938) stammte aus einer jüdischen Familie aus Dortmund-Hörde. Nach dem Medizinstudium in Bonn war er im I. Weltkrieg als Oberstabsarzt an der Westfront eingesetzt. Ab 1920 lebte er mit seiner Ehefrau Martha und den beiden Söhnen in Köln, er war als niedergelassener Internist tätig und hatte seit 1927 die Leitung der röntgenologischen Abteilung am Jüdischen Krankenhaus inne. Als überzeugter Pazifist aus dem Krieg zurückgekehrt, gehörte er zu den Begründern der „Deutschen Liga für Menschenrechte“ und war Mitglied der Sozialistischen Partei.
Ab 1920 baute das Ehepaar Blank eine bedeutende Kunstsammlung mit einem Schwerpunkt auf dem Expressionismus und den „Kölner Progressiven“ auf, zu der neben dem Selbstbildnis von Hermann Max Pechstein auch Arbeiten von Otto Dix, Marc Chagall, Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwert gehörten.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde die Familie Blank drangsaliert. Martha Blank starb 1935 nach schwerer Krankheit, Walter Blank emigrierte 1936 mit seinen beiden Söhnen nach Antwerpen. Von dort zog er nach Spanien, um im Bürgerkrieg auf der Seite der Internationalen Brigaden zu kämpfen. Walter Blank verstarb 1938 in Matarò bei Barcelona.WerkverzeichnisSoika 1909/55ProvenienzSammlung Dr. med. Walter Blank, Köln; Sammlung V.A., Rheinland; seitdem in Familienbesitz in dritter GenerationLiteraturhinweiseRobert Breuer, Max Pechstein – Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 29, Oktober 1911 – März 1912, Heft 6, S. 423-431, mit Abb. S. 429; Walther Heymann, Max Pechstein, München 1916, mit Abb. S. 7; Max Osborn, Max Pechstein, Berlin 1922, S. 168; Jean Leymarie/Ewald Rathke, L'espressionismo e il fauvismo. Parte seconda, volumi 8 (L'Arte Moderna), Mailand 1967, Farbabb. S. 129; Diether Schmidt, Ich war, ich bin, ich werde sein! Selbstbildnisse deutscher Künstler des 20. Jahrhunderts, Berlin (Ost) 1968, S. 270, Farbabb. Tafel 9; Ewald Rathke, L'Espressionismo, Mailand 1970, S. 55 mit Abb.; Braunschweiger Zeitung, 20.3.1982, Ausstellungsbesprechung, mit Abb.; Andreas Andermatten, Max Pechstein, in: Pan, 1985, Heft 6, S. 4-21, mit Farbabb. auf dem Umschlag; Ewald Rathke, Expressionismus von Paul Gauguin bis Oskar Kokoschka, Herrsching 1988, mit Farbabb. 29; Andreas Hüneke, Zweierlei Augen – Ein Deutungsvorschlag, in: Magdalena Moeller (Hg.), Schmidt-Rottluff. Druckgraphik, München 2001, mit Abb. S. 44; Roman Zieglgänsberger, "Es war immer dieselbe Pfeife". Max Pechstein in seinen Selbstbildnissen, in: Max Pechstein. Künstler der Moderne, Ausst. Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg 2017, S. 167-170AusstellungKönigsberg 1914; Berlin 1959 (Hochschule für bildende Künste in Gemeinschaft mit der Nationalgalerie der Ehemals Staatlichen Museen), Der junge Pechstein. Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, Kat. Nr. 57 mit Farbabb.; Bonn 1965 (Rheinisches Landesmuseum), Expressionismus aus rheinischem Privatbesitz, Kat. Nr. 36, mit ganzseitiger Farbabb. S. 41; Frankfurt am Main/Hamburg 1966 (Frankfurter Kunstverein/Kunstverein in Hamburg), Vom Impressionismus zum Bauhaus. Meisterwerke aus deutschem Privatbesitz, Kat. Nr. 65, mit Abb.; Paris/München 1966 (Musée National d’Art Moderne/Haus der Kunst), Le Fauvisme francais et les débuts de l’Expressionisme allemand/Der französische Fauvismus und der deutsche Frühexpressionismus, Kat. Nr. 258, mit Abb. S. 342 (auf dem Keilrahmen zweifach mit Ausstellungs-Etikett); Düsseldorf 1967 (Kunsthalle), Kunst des 20. Jahrhunderts aus rheinisch-westfälischem Privatbesitz. Malerei, Plastik, Handzeichnung, Kat. Nr. 278 mit Abb. 32; Schaffhausen/Bonn 1972 (Museum zu Allerheiligen/Rheinisches Landesmuseum), Die Künstler der „Brücke“, Kat. Nr. 153, mit Farbabb. Tafel 17; Braunschweig/Kaiserslautern 1982 (Kunstverein/Pfalzgalerie), Max Pechstein, Farbabb. S. 51; Berlin/Tübingen/Kiel 1996/97 (Brücke-Museum/Kunsthalle Tübingen/Kunsthalle zu Kiel), Max Pechstein. Sein malerisches Werk, Kat. Nr. 35 mit Farbabb.

Auction archive: Lot number 15
Auction:
Datum:
1 Dec 2023
Auction house:
Kunsthaus Lempertz KG
Neumarkt 3
50667 Köln
Germany
info@lempertz.com
+49 (0)221 9257290
+49 (0)221 9257296
Beschreibung:

Hermann Max Pechstein
Selbstbildnis, liegend
1909
Öl auf Leinwand. 73,5 x 98,5 cm. Gerahmt. Oben links braun monogrammiert 'HMP' (ligiert). - In guter, farbfrischer Erhaltung. Partiell schwaches Craquelé.Diese Arbeit wird auf der Grundlage einer Einigung zwischen dem Einlieferer und den Erben nach Dr. Walter Blank angeboten, die aufgrund der Vermittlung durch die Kunsthaus Lempertz KG zustande gekommen ist. Die Einigung hat zur gütlichen Beilegung aller offenen Fragen in Bezug auf die Provenienz und eigentumsrechtlichen Fragen an dem Werk geführt, so dass der Erwerber unbeschränktes Eigentum, frei von Ansprüchen aller Art, erwirbt.
Mit dem "Selbstbildnis, liegend" wird das bedeutendste Selbstbildnis von Hermann Max Pechstein angeboten. Es stammt aus einer Zeit, die gemeinhin als seine beste Schaffensphase gilt - ein Höhepunkt des deutschen Expressionismus.
Das Gemälde ist angefragt als Leihgabe für die Ausstellung „Max Pechstein – Die Sonne in Schwarzweiß“ im Museum Wiesbaden, 15. März – 30. Juni 2024, in Kooperation mit den Kunstsammlungen Zwickau – Max Pechstein-Museum, dem Brücke Museum Berlin sowie der Max Pechstein Urheberrechtsgemeinschaft, Hamburg/Berlin.
Das mit leuchtenden Farben energisch gemalte „Selbstbildnis, liegend“ von 1909 ist das früheste malerische Selbstporträt von Max Pechstein. Lediglich in zwei kleinen Holzschnitten privaten Charakters hatte sich der Künstler bis dahin selbst dargestellt. Hier hingegen präsentiert er sich selbstbewusst in ganzer Figur und das gesamte Bildformat füllend, in einer gänzlich unkonventionellen Weise. Auf einem grünen Untergrund liegend, stützt er sich auf einem Ellbogen auf, während der andere ausgestreckte Arm den Pinsel hält, um auf der gerade noch ins Bild ragenden Leinwand zu malen.
Das außergewöhnliche Selbstbildnis von musealer Qualität besticht durch die Wahl der komplementären Farbkontraste Rot-Grün und Blau-Gelb, mit denen Pechstein maximale Leuchtkraft und Präsenz erreicht. Mit den starken Farben geht der direkte, geradezu herausfordernde Blick des Malers einher. Pechstein, der sich 1909 auf der Schwelle zum künstlerischen Durchbruch befand, blickt selbstgewiss in die eigene Zukunft.
Der Durchbruch
Für den Künstler war das Jahr 1909 eine von richtungsweisenden Veränderungen geprägte Zeit. Er war zum Entstehungszeitpunkt 28 Jahre alt, seit Mitte 1908 in Berlin ansässig und zunächst noch weitgehend mittellos. Die Frühjahrs-Ausstellung der Berliner Secession wurde daher zu einem Meilenstein in seiner noch jungen Karriere, er war hier mit drei Gemälden vertreten und konnte zwei davon verkaufen. „Das Eis war gebrochen, und meine Kunst, später von Kunstwissenschaftlern als ‚Expressionismus‘ bezeichnet, hatte sich den Anfang des Weges errungen“, schrieb er rückblickend (zit. nach Aya Soika, Max Pechstein. Das Werkverzeichnis der Ölgemälde, Bd. 1, München 2011, S. 13).
Erster Nidden-Aufenthalt
Der Verkaufserlös ermöglichte Pechstein erstmals einen Sommeraufenthalt an der Ostsee im Fischerdorf Nidden an der Kurischen Nehrung, wo er von Ende Juni bis Anfang September fern der Großstadt in der freien Natur arbeitete. Es war der erste von vielen weiteren Sommern in diesem „Malerparadies“, wie Pechstein es nannte. Er war fasziniert von der maritimen Landschaft und dem einfachen Leben der Einheimischen, mit denen er enge Kontakte pflegte.
Das „Selbstbildnis, liegend“ entstand sehr wahrscheinlich im Spätsommer, direkt im Anschluss an diesen künstlerisch äußerst wichtigen Aufenthalt, und ist motivisch noch ganz von den dort gesammelten Eindrücken durchdrungen. Davon zeugen die sonnengebräunten Gesichtszüge des Malers ebenso wie seine von den Niddener Fischern abgeschaute Kleidung mit einfachem Seemannshemd, Gamaschen und bloßen Füßen. Auch der markante Backenbart, den der Maler nur kurzzeitig trug, ist diesem Hintergrund geschuldet, er findet sich auch in seiner Lithographie „Zwei Köpfe“ aus dem gleichen Zeitraum (Krüger L 57, siehe Vgl.-Abb.).
Stilistische Neuanfänge
Der Sommer in Nidden markierte auch stilistisch eine Wegmarke für Pechstein. Nachdem er noch zu Beginn des Jahres 1909 sowohl mit pointillistischen Maltechniken als auch mit pastosem Farbauftrag im Stil Vincent van Goghs experimentiert hatte, begann er nun erstmals mit großen Flächen in einheitlicher, leuchtender Farbgebung zu arbeiten. Das „Selbstbildnis, liegend“ ist eines der frühesten Beispiele dafür. Diese künstlerische Errungenschaft steht möglicherweise noch in Zusammenhang mit der Matisse-Ausstellung, die die Galerie Paul Cassirer in Berlin ausrichtete und die Pechstein gemeinsam mit Kirchner und Schmidt-Rottluff im Januar 1909 besuchte. Die dort ausgestellten Akte und Bilder von Tanzenden hinterließen bei Pechstein – noch mehr als bei den anderen „Brücke“-Künstlern – einen nachhaltigen Eindruck.
Die Selbstdarstellung
Im Frühjahr 1909 gestaltete Pechstein das offizielle Plakat der „Brücke“-Ausstellung bei Emil Richter in Dresden. Darauf stellte er die Konterfeis der vier „Brücke“-Mitglieder dar, unten links sich selbst (Krüger H 85, siehe Vgl.-Abb.). Möglicherweise weckte dieses erste für die Öffentlichkeit konzipierte Gruppenbildnis bei dem Maler das Bedürfnis nach einer bewussten, individuellen Darstellung seiner Person. Das Ergebnis dieser Intention steht uns hier eindrucksvoll vor Augen.
Mit vergleichbarem Selbstbewusstsein präsentierte sich der Maler einige Monate nach dem Entstehen des „Selbstbildnis, liegend“ in dem „Doppelbildnis“ (Soika 1910/67, Nationalgalerie Berlin, siehe Vgl.-Abb.), das ihn gemeinsam mit „Lotte“ zeigt, seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Charlotte Kaprolat. Pechstein wurde im Mai 1910 zum Präsidenten der „Neuen Secession“ gewählt und fungierte als wortmächtiges Sprachrohr der progressiven „Brücke“-Künstler. In beiden Selbstbildnissen machte Pechstein unmissverständlich klar, dass er sich als Künstler und als Wortführer der „Brücke“ in einer Vorreiterrolle sah.
Wie Kunst entsteht – das Selbstbildnis als Programmbild
„Selbstbildnis, liegend“ ist nicht nur als individuelle Selbstdarstellung des Künstlers zu sehen, sondern besitzt eine außerordentlich durchdachte, vielschichtige Bildaussage.
Roman Zieglgänsberger macht in seinen Ausführungen zu diesem Gemälde deutlich, dass es dem Künstler keinesfalls nur darum ging, sich selbst in seiner Funktion als Maler zu porträtieren. „Es zeigt vielmehr, wie Kunst entsteht. Nimmt man es ganz genau, zeigt es sogar, wo Kunst entsteht. […] Für die thematische Aussage des Gemäldes ist […] entscheidend, dass sich ganz links am Rand die Palette befindet und ihr gegenüber am entferntesten Punkt im Bild rechts die angeschnittene Leinwand. Auf dieser entsteht soeben sein ‚Selbstbildnis, liegend‘, das wir letztlich vor Augen haben. Raffiniert ist zudem, dass sich das Gemälde exakt aus den Farben zusammensetzt, die sich – nur folgerichtig – auf seiner Palette befinden. Das bedeutet, Pechstein führt uns, indem er die Farben von der Palette links auf die Leinwand rechts überträgt, einen ‚kunstvollen‘ Spagat vor Augen. Die Primärfarben Rot-Gelb-Blau sowie die Mischfarbe Grün auf seiner Palette müssen vom Künstler, der nur im Selbstbildnis sichtbar im Zentrum steht beziehungsweise in unserem Fall ‚liegt‘, zur Kunst auf der Leinwand ‚übersetzt‘ werden. Liest man das Bild in der abendländischen Leserichtung von links nach rechts, sehen wir durch Pechstein, wie Kunst entsteht, nämlich folgendermaßen: Mit den Farben wird das Motiv vom Künstler, der hier nicht nur der Ausführende, sondern gleichzeitig der Bildgegenstand ist, unter höchsten Anstrengungen präzise erfasst und auf der Leinwand umgesetzt.
Hat man sich den komplexen Aufbau des ‚Selbstbildnis, liegend‘ erst vor Augen geführt, wird klar, dass Pechstein diesen ‚Kunstwerdungsprozess‘, den er hier exemplarisch an seiner eigenen Person wie in einer Versuchsanordnung durch- und vorgeführt hat, nicht nur als Maxime für dieses eine Selbstporträt verstand, sondern zukünftig für sein gesamtes Schaffen ansah. Für Pechstein war demnach der Körper des Malers das Medium, der Resonanzraum durch das das äußerlich Wahrgenommene erst hindurchgehen muss, um zur Kunst zu werden. Damit sagt er, dass die Welt mit allen Sinnen wahrgenommen werden muss, um vermischt mit der individuellen Persönlichkeit des Künstlers am Ende zu emotionaler Kunst werden zu können. Kunst ist nicht nur Kopf, Kunst ist nicht nur Malaktion, Kunst ist schlicht ‚gesamtkörperlich‘. Mehr Programmbild kann ein Werk nicht sein.“ (aus: Roman Zieglgänsberger, Wie Kunst entsteht. Eine kurze Anmerkung zu Max Pechsteins Programmbild „Selbstbildnis, liegend“; vollständiger Text unter www.lempertz.com/de/academy.html).
„Selbstbildnis, liegend“ ist in seiner unkonventionellen Bildfindung singulär. Herausragend veranschaulicht es die Selbstgewissheit und die schöpferische Kraft des Malers zum Zeitpunkt seines künstlerischen Durchbruchs. Wie kein anderes Gemälde aus diesem Jahr präsentiert es erstmals Pechsteins voll ausgereiften, unverwechselbaren „Brücke“-Stil und steht programmatisch für sein künstlerisches Verständnis.
Der Sammler Dr. med. Walter Blank
Dr. Walter Blank (1892-1938) stammte aus einer jüdischen Familie aus Dortmund-Hörde. Nach dem Medizinstudium in Bonn war er im I. Weltkrieg als Oberstabsarzt an der Westfront eingesetzt. Ab 1920 lebte er mit seiner Ehefrau Martha und den beiden Söhnen in Köln, er war als niedergelassener Internist tätig und hatte seit 1927 die Leitung der röntgenologischen Abteilung am Jüdischen Krankenhaus inne. Als überzeugter Pazifist aus dem Krieg zurückgekehrt, gehörte er zu den Begründern der „Deutschen Liga für Menschenrechte“ und war Mitglied der Sozialistischen Partei.
Ab 1920 baute das Ehepaar Blank eine bedeutende Kunstsammlung mit einem Schwerpunkt auf dem Expressionismus und den „Kölner Progressiven“ auf, zu der neben dem Selbstbildnis von Hermann Max Pechstein auch Arbeiten von Otto Dix, Marc Chagall, Heinrich Hoerle und Franz Wilhelm Seiwert gehörten.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde die Familie Blank drangsaliert. Martha Blank starb 1935 nach schwerer Krankheit, Walter Blank emigrierte 1936 mit seinen beiden Söhnen nach Antwerpen. Von dort zog er nach Spanien, um im Bürgerkrieg auf der Seite der Internationalen Brigaden zu kämpfen. Walter Blank verstarb 1938 in Matarò bei Barcelona.WerkverzeichnisSoika 1909/55ProvenienzSammlung Dr. med. Walter Blank, Köln; Sammlung V.A., Rheinland; seitdem in Familienbesitz in dritter GenerationLiteraturhinweiseRobert Breuer, Max Pechstein – Berlin, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 29, Oktober 1911 – März 1912, Heft 6, S. 423-431, mit Abb. S. 429; Walther Heymann, Max Pechstein, München 1916, mit Abb. S. 7; Max Osborn, Max Pechstein, Berlin 1922, S. 168; Jean Leymarie/Ewald Rathke, L'espressionismo e il fauvismo. Parte seconda, volumi 8 (L'Arte Moderna), Mailand 1967, Farbabb. S. 129; Diether Schmidt, Ich war, ich bin, ich werde sein! Selbstbildnisse deutscher Künstler des 20. Jahrhunderts, Berlin (Ost) 1968, S. 270, Farbabb. Tafel 9; Ewald Rathke, L'Espressionismo, Mailand 1970, S. 55 mit Abb.; Braunschweiger Zeitung, 20.3.1982, Ausstellungsbesprechung, mit Abb.; Andreas Andermatten, Max Pechstein, in: Pan, 1985, Heft 6, S. 4-21, mit Farbabb. auf dem Umschlag; Ewald Rathke, Expressionismus von Paul Gauguin bis Oskar Kokoschka, Herrsching 1988, mit Farbabb. 29; Andreas Hüneke, Zweierlei Augen – Ein Deutungsvorschlag, in: Magdalena Moeller (Hg.), Schmidt-Rottluff. Druckgraphik, München 2001, mit Abb. S. 44; Roman Zieglgänsberger, "Es war immer dieselbe Pfeife". Max Pechstein in seinen Selbstbildnissen, in: Max Pechstein. Künstler der Moderne, Ausst. Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg 2017, S. 167-170AusstellungKönigsberg 1914; Berlin 1959 (Hochschule für bildende Künste in Gemeinschaft mit der Nationalgalerie der Ehemals Staatlichen Museen), Der junge Pechstein. Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, Kat. Nr. 57 mit Farbabb.; Bonn 1965 (Rheinisches Landesmuseum), Expressionismus aus rheinischem Privatbesitz, Kat. Nr. 36, mit ganzseitiger Farbabb. S. 41; Frankfurt am Main/Hamburg 1966 (Frankfurter Kunstverein/Kunstverein in Hamburg), Vom Impressionismus zum Bauhaus. Meisterwerke aus deutschem Privatbesitz, Kat. Nr. 65, mit Abb.; Paris/München 1966 (Musée National d’Art Moderne/Haus der Kunst), Le Fauvisme francais et les débuts de l’Expressionisme allemand/Der französische Fauvismus und der deutsche Frühexpressionismus, Kat. Nr. 258, mit Abb. S. 342 (auf dem Keilrahmen zweifach mit Ausstellungs-Etikett); Düsseldorf 1967 (Kunsthalle), Kunst des 20. Jahrhunderts aus rheinisch-westfälischem Privatbesitz. Malerei, Plastik, Handzeichnung, Kat. Nr. 278 mit Abb. 32; Schaffhausen/Bonn 1972 (Museum zu Allerheiligen/Rheinisches Landesmuseum), Die Künstler der „Brücke“, Kat. Nr. 153, mit Farbabb. Tafel 17; Braunschweig/Kaiserslautern 1982 (Kunstverein/Pfalzgalerie), Max Pechstein, Farbabb. S. 51; Berlin/Tübingen/Kiel 1996/97 (Brücke-Museum/Kunsthalle Tübingen/Kunsthalle zu Kiel), Max Pechstein. Sein malerisches Werk, Kat. Nr. 35 mit Farbabb.

Auction archive: Lot number 15
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Datum:
1 Dec 2023
Auction house:
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50667 Köln
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